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Laut einer OECD Studie kommt die Weiterbildung von Geringqualifizierter in Deutschland zu kurz

Lernende Erwachsene in einem Seminarraum

Foto: thumprchgo - Pixabay.com

Das Weiterbildungssystem ist zu wenig zusammenhängend

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Situation der Weiterbildung hierzulande untersucht und international verglichen. Wie gut unterstützt das deutsche Weiterbildungssystem Menschen und Unternehmen, mit dem raschen Wandel der Arbeitswelt Schritt zu halten?

Im OECD-Vergleich hat Deutschland mit 18 Prozent einen recht großen Anteil von Arbeitsplätzen mit hohem Automatisierungsrisiko. Weiterbildung in allen Formen – von Aufbaustudiengängen über Lehrgänge bis hin zum Lernen von Kolleg*innen – ist essentiell, um Menschen auf diese Veränderungen vorzubereiten.

Die wichtigsten Empfehlungen der OECD-Studie Weiterbildung in Deutschland sind:

  • Deutschland muss sich bei der Weiterbildung stärker um die Bedürfnisse Geringqualifizierter kümmern
  • das Weiterbildungssystem ist kohärenter zu gestalten
  • Ansprüche auf Bildungszeiten sollten einheitlich geregelt,
  • finanzielle Anreize sollen gebündelt werden
  • die Möglichkeiten zur Anerkennung nicht-formal und informell erworbener Fähigkeiten verbessert werden.

Insgesamt leistungsstarkes Bildungssystem

Innerhalb dieses Systems werden jedoch ausgerechnet diejenigen oft nur schwer von Weiterbildungs-Angeboten erreicht, die besonders davon profitieren würden. Dazu gehören Erwachsene in Berufen mit hohem Veränderungs- oder Automatisierungsrisiko, Erwachsene mit geringen Grundkompetenzen, Geringverdienende und Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen. Sie nehmen seltener Weiterbildungsangebote wahr als Menschen mit höheren Qualifikationen – was die Kluft zwischen den Bildungsgruppen weiter vergrößert. Diese Tendenz gibt es in allen OECD-Ländern. Im Vergleich zu anderen leistungsstarken Mitgliedsländern ist die Weiterbildungsteilnahme in Deutschland jedoch besonders ungleich verteilt.

Die Bedeutung der Nationalen Weiterbildungsstrategie und der Modernisierung der Weiterbildungslandschaft der letzten Jahre wurde hervorgehoben.

Zentrale Empfehlung ist, die komplexen Strukturen der deutschen Weiterbildungslandschaft zu vereinfachen

Das jetzige System zeichnet sich laut OECD durch dezentrale, föderale Strukturen, hohe Eigenverantwortung und starken Wettbewerb zwischen den Anbietern aus. Das macht es einfacher, maßgeschneiderte Angebote bereitzustellen, ist aber für Einzelne schwer zu überblicken, bietet wenig Vergleichbarkeit in Bezug auf die Qualitätsstandards der Anbieter und schafft ungleiche Zugangsvoraussetzungen. Es wäre sinnvoll, über ein nationales Weiterbildungsgesetz einen Rahmen zu etablieren, der Zuständigkeiten, Organisation, Anerkennung und Finanzierung regelt. Für Anbieter sollten Mindestqualitätsstandards eingeführt werden.

Zeitmangel und fehlendes Wissen über die eigenen rechtlichen Ansprüche halten viele Menschen von der Teilnahme an Weiterbildungsangeboten ab. Die Studie empfiehlt, den Anspruch auf Bildungszeiten und Bildungsurlaub regionen- und branchenübergreifend zu vereinheitlichen und die finanziellen Fördermöglichkeiten für Weiterbildung nutzerfreundlicher zu gestalten. Das  Land Berlin hat hier mit seinem Weiterbildungsgesetz und der Bildungszeit bereits gehandelt.

Darüber hinaus sollen Angebote zum Erwerb von Teilqualifikationen bundesweit ausgebaut, standardisiert und so gestaltet werden, dass diese auf dem Arbeitsmarkt problemlos anerkannt werden. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass modularisierte Teilqualifikationen für mehr Inklusivität sorgen können, weil sie flexibler auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen.

Desweiteren empfiehlt die Studie, Konzepte und Kampagnen zu entwickeln, die gezielt Menschen mit geringen Grundkompetenzen ansprechen. Diese Gruppe sucht seltener aktiv nach Weiterbildungsmöglichkeiten und ist auch durch Informationskampagnen oft nur schwer für Weiterbildung zu gewinnen. Die Studie empfiehlt, dass Bund und Länder in einer gemeinsamen Initiative kostenlosen oder kostengünstigen Zugang zu Lernangeboten im gesamten Bundesgebiet schaffen. Diese Angebote sollten praxisnah und problemorientiert angelegt sein und idealerweise im Arbeitskontext stattfinden. Die Studie beschreibt Beispiele aus anderen OECD-Ländern, darunter das UnionLearn-Programm in Großbritannien, die auf diese Weise erfolgreich die Weiterbildungsteilnahme bei eher schwer erreichbaren Gruppen erhöht haben (Link zur OECD-Studie).

Reaktion des Nationalen Forums Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung (nfb) auf die OECD-Studie

Das nfb hat das Kapitel 4 der Studiie (hier als PDF-Dokument), welches de Empfehlungen zur Weiterbildungsberatung enthält mit Genehmigung der OECD ins Deutsche übersetzt und darüber hinaus einen 9-seitigen Kommentar (hier als PDF-Dokument) zum OECD-Bericht und seinen Empfehlungen veröffentlicht.

Die Autorinnen des nfb bedauern, dass sich die Studie bei ihren Analysen auf die berufliche Weiterbildungsberatung beschränkt. Damit werden große Bereiche der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung ausgeklammert. Hier wäre ein umfassenderer Ansatz sinnvoll.

Hingewiesen wird darauf, dass viele der Empfehlungen nicht neu sind. Die Gründung einer nationalen Initiative zur Beratung, Vernetzung, das Setzen von Qualitätsstandards – dies sind Forderungen, die das nfb und andere Akteur*innen bereits Mitte der 2000er Jahre an die Politik gerichtet haben. In Deutschland hat sch in den vergangenen 15 Jahren auf dem Feld der BBB-Beratung vieles entwickelt, aber wir sind auch noch weit entfernt vom Ideal eines ganzheitlichen Konzeptes von Weiterbildungsberatung, Validierung und Anerkennung von Kompetenzen, wie es sich der Bericht vorstellt.

Der externe Blick der OECD bringt also frischen Wind. Allerdings sollten wir die Empfehlungen auch darauf hin überprüfen, wie sie in das föderale System der Bundesrepublik passen: Wo sollte zukünftig der Bund mehr Zuständigkeiten haben, etwa bei der Setzung von Standards oder dem Monitoring? Gerade die Vielfalt der Beratungsangebote mit den Arbeitsagenturen als gleichberechtigten Partnern (und nicht als „primus inter pares“) kann in den Ländern/Regionen eine „einheitliche Marke“ sein, wenn sie denn gut koordiniert, transparent, flächendeckend und niederschwellig für alle Bürger:innen angeboten werden.